Jörg C. Brose
Glaubt nicht was Ihr seht!
Glaubt nicht was Ihr seht!

Glaubt nicht was Ihr seht!

Reflexion der Mediennutzung

Im Jahr 2003 begann ich mein Studium im Bereich Medienmanagement. Medienmanager sind gefragte Menschen heutzutage. Sie versuchen, das Chaos, und die Veränderung der Medienlandschaft zu verstehen. Sie nutzen ihr Wissen unter anderem, um neue Geschäftsmodelle in den immer digitaler werdenden Märkten zu erstellen. Damals hieß es, wir stecken die zusammenwachsenden Stränge von Radio, Fernsehen und Internet in ein neues Gewand. Diese so genannte Medienkonvergenz versteht man gut, wenn man sich die Veränderung des eigenen Medienverhaltens über die letzten Jahre vergegenwärtigt.

Zu Beginn des Studiums ging es darum, den digitalen Wandel der Medienhäuser zu begreifen und zu begleiten. „Online First“ war damals längst nicht selbstverständlich. Zeitungen hatten einen Redaktionsschluss und dieser war heilig. Man wollte seine teuren Recherchen doch nicht einfach ans Internet verschenken. Der Online-Journalismus steckte also noch in den Kinderschuhen.

2005 wurde YouTube gegründet, dessen Erfolg darauf gründet, dass Nutzer hier eigene Inhalte hochladen und massenhaft verbreiten konnten.

2007 kam das erste iPhone auf den Markt. In einem Wimpernschlag der Geschichte wurde aus dem Handy – also dem bloßen Massentelefon – ein eigenes Massenmedium.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt verschwamm die Barriere zwischen Privatheit und Öffentlichkeit immer mehr.  Jeder Nutzer konnte nun zum Medium werden und innerhalb kürzester Zeit eine große Reichweite erzielen.

Bei solch epochalen Entwicklungen spricht man in der Wirtschaft von „Disruption“ (urspr. lateinisch disrumpere – zerreißen).

Dieses Wort wird vor allem dann gebraucht, wenn es darum geht, bestehende Anbieter eines Marktes radikal zu verdrängen, ganze Branchen durch neue Ansätze zu verändern oder gar zu zerstören. Ein greifbares nicht-digitales Beispiel sind hier die Fertigteigbäckereien, die für das Massensterben von Handwerksbetrieben verantwortlich sind. Die Disruption findet jedoch auf der gesamten gesellschaftlichen Ebene statt.

Wie jede Veränderung, so hat auch die Digitalisierung positive aber auch negative disruptive Effekte mit sich gebracht. Die „neuen Medien“ haben in jedem Fall für eine stärkere Demokratisierung gesorgt. Meinungen können durchdringen, ohne durch Redaktionen, Agenturen oder Parteien beschränkt zu werden. Es gibt jedoch weder einen Mindeststandard, noch eine Möglichkeit, das Ausufern von Falschmeldungen, von Hass und Hetze wirksam einzudämmen.

Der Verbreitung vieler Einzelmeinungen stehen die Auswahl, die Rezeption und die Meinungsbildung des Einzelnen gegenüber.  

Die ohnehin immer heterogene gesellschaftliche Perspektive auf die Probleme und Themen einer Zeit tendiert aufgrund sozialer Faktoren zur Bildung von Meinungsblasen, sich selbst verstärkenden Systemen und auch zu Polarisierung.

Das heutige Mediensystem ist durch die Digitalisierung somit durchaus demokratischer geworden. Die politischen Akteure schaffen es jedoch nicht, dieser Entwicklung adäquat zu begegnen. Drastisch formuliert kann man nach den Ereignissen der letzten Tage sagen: Der Kontakt der Politik zur Jugend und großen Teilen der Gesellschaft ist abgerissen.

Disruption und Stillstand

Seit 2005 ist Angela Merkel Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, also zwei Jahre vor der massenhaften Verbreitung von Smartphones. Angesichts der massiven Umbrüche, sollten sich die Parteien mit den Entwicklungen und Folgen der Digitalisierung befassen. Die Reaktion der Politik und auch in großen Teilen der Wirtschaft ist jedoch mehr als fraglich. Und: Sie ist mit ursächlich dafür, dass die Spaltung der Gesellschaft weiter voran schreitet.

Die digitale Mündigkeit einer Gesellschaft und eines Landes beginnt indes nicht damit, digitale Geräte in jeder Schulklasse bereitzustellen. Sie beginnt in der Vermittlung von Medien- und Datenkompetenz sowie im Aufbau von offenen eigenen Infrastrukturen.

Vorschläge und Ansätze bringen Wissenschaft und Expertengruppen wie der Chaos Computer Club seit Jahren in die Gremien mit ein. Sie verhallen jedoch meist ungehört.

Anstatt in die Bildung und Fortentwicklung der Gesellschaft zu investieren, reagiert gerade die deutsche Politik mit Angst. Die Angst zeigt sich nicht nur im Bereich des Journalismus. Die Politik zieht sich aus vielen Bereichen zurück, sie agiert reaktionär und nutzt ihren Gestaltungsspielraum nicht.

Stattdessen versucht sie, gesellschaftliche Veränderungen zu unterbinden und Freiheitsrechte einzuschränken.

Schärfere SicherheitsgesetzeDie neuen Polizeigesetze ermöglichen es, dass Bürger ohne konkreten Anlass bis zu mehreren Wochen in Gewahrsam genommen werden können
Verfolgung von Whistleblowern Das Aufdecken von Missständen wie den Steuerskandalen hat keine steuergesetzlichen Maßnahmen nach sich gezogen. Stattdessen werden die Journalisten in Deutschland rechtlich verfolgt.
Schwächung von NGOs Die betrügerischen Machenschaften der Autoindustrie wurden politisch gedeckt. Die Klagen der Zivilgesellschaft wurden erschwert. Seitens der CDU besteht sogar die Absicht, dem BUND die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.
Austeritätspolitik statt ZukunftsinvestitionenEntgegen der Meinung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung setzt die Bundesregierung auf die Erreichung der „schwarzen Null“.
Festhalten an der industriellen und auf Monokultur aufbauenden Landwirtschaft 
Förderung von Flucht und Vertreibung durch die Beteiligung an Wirtschaftskriegen 
Keine wirksamen Aktivitäten gegen das Artensterben 
Keine wirksamen Aktivitäten gegen den KlimawandelAktuell fließen 46 Milliarden Euro in die Subvention fossiler Brennstoffe. Stattdessen werden bei erneuerbaren Energien Subventionen abgebaut.
Verstärkung sozialer Ungleichheit Verkauf sozialer Wohnungsgenossenschaften Nicht-Erneuerung der Grundsteuer Nicht-Einführung einer Finanztransaktionssteuer Nicht-Wiedereinführung  der Vermögenssteuer Nicht-Ausbildung von digitaler Medienkompetenz gerade bei finanziell benachteiligten Bürgern
zu schwache Förderung der europäischen technologischen UnabhängigkeitAm Beispiel Huawei zeigt sich, wie anfällig und abhängig die Infrastruktur vom Willen und Zustand der amerikanischen Politik ist
Protektionismus und NationalismusDie Fokussierung auf den Export und die Vernachlässigung der Binnennachfrage verstärkt das wirtschaftliche Ungleichgewicht in Europa. Deutschland zwingt anderen Ländern damit die eigene Wirtschaftspolitik auf.
Intransparente Parteifinanzierung
Hier lohnt ein Blick in die Arbeit von fragdenstaat.de
Nicht-Eindämmung des Wirtschaftslobbyismuss.o.

Demographie als Treiber der gesellschaftlichen Spaltung

Die Gründe für die irrationale und zukunftsfeindliche Politik liegen neben der sozialen Schieflage in der sich verschärfenden Problematik der Demographie. Immer mehr alte bestimmen über das Leben der jungen Menschen. Gleichzeitig werden hier lebende Menschen immer älter. Das Mindestwahlalter stagniert (mit lokaler Ausnahme) jedoch bei 18 Jahren. Die vermeintliche Satire-Partei DIE PARTEI fordert daher bereits ein Höchstalter für „Letztwähler“. Falls Sie das nicht mitbekommen haben sollten, ist auch das übrigens nicht verwunderlich.

Vor allem CDU und SPD richten ihre Wahlprogramme gezielt auf genau diese wachsende Wählerschaft aus. Deshalb wurde z.B. Kevin Kühnert für seine – angesichts des Parteigrundsatzprogrammes vollkommen legitimen – Ideen gezielt denunziert. Auf eine inhaltliche Debatte wurde kein Wert gelegt, denn sonst hätte man nachlesen können, dass Kühnert nicht den Kommunismus einführen wollte. Man hätte auch nachlesen können, dass Verstaatlichungen in Deutschland durchaus üblich sind, wenn es z.B. um Energiegewinnung oder den Ausbau von Autobahnen geht. Aktuell laufen in Deutschland rund 20 Enteignungsverfahren zum Ausbau von Autobahnen.

Vielleicht ist die Denke dahinter, dass junge Wähler ohne bezahlbare Wohnung sowieso nicht wählen gehen.

Alte und Junge leben in unterschiedlichen (Medien-)Welten

Die New York Times ist eines der wenigen Medienhäuser, das es geschafft hat, die Zahl der Digitalabonnenten in existenzsichernde Höhen zu bringen. In Deutschland sterben die Zeitungen langsam aber stetig. Man kann sich denken, dass vor allem die großen Verlagshäuser dabei im Vorteil sind, da sie ihre Angebote durch Querfinanzierung länger am Leben halten können als kleinere Zeitungen. Die Problematik dabei ist, das die großen Verlage in den Händen weniger wohlhabender Familien sind. Dies verstärkt die Monopolisierungstendenzen aber vor allem schwächt es die Meinungsvielfalt.  Eine möglichst einflussfreie und ausgeglichene Berichterstattung ist hier fraglich, was man auch an den Einflüssen des so genannten „Native Advertising“ sehen kann.   Hierbei handelt es sich um Anzeigen auf der Webseite einer Zeitung, die von redaktionellen Berichten optisch nur schwer zu unterscheiden sind.

Da ältere Menschen ihr Mediennutzungsverhalten jedoch nicht mehr so stark hinterfragen oder gar ändern, ist es umso schwieriger, gesellschaftlich relevante Themen in den Vordergrund zu bringen. Sie gehen schlicht im Störfeuer der aktuellen Berichterstattung unter.

Spätestens hier wird klar, dass wir es mit einem gefährlichen Generationenkonflikt zu tun haben, der die Demokratie gefährdet. Der noch schwebende Brexit hat diese Problematik eindrücklich demonstriert. Vereinfacht kann man konstatieren „Wütende Rentner auf dem Land haben der jungen Generation die Zukunft versaut.“ Die Jugend hat natürlich auch versäumt, sich hier frühzeitig in die Debatte einzuschalten, allerdings kann das vielleicht auch wieder auf die Erziehung oder auf die Gesellschaftlichen Umstände zurückgeführt werden.

Der Generationenkonflikt im Spiegel der Zeit

1947 wurde in Deutschland nach britischem Vorbild erstmals ein Nachrichtenmagazin unter Rudolf Augstein herausgegeben.

Augstein brachte 1962  den damaligen Verteidigungsminister Strauß mit seinen Veröffentlichungen in Bedrängnis. Der Staat reagierte hart, ermittelte gegen Augstein und gegen weitere Redakteure wegen Landesverrats. Augstein kam über drei Monate in Untersuchungshaft.

Dank öffentlicher Proteste und der Hilfe anderer Medienhäuser – sogar der Springer-Presse – konnte der Spiegel jedoch letztendlich weiter erscheinen und die Inhaftierten wurden nach und nach wieder freigelassen. Das Verfahren wurde erst drei Jahre später – also 1965 – durch den Bundesgerichtshof eingestellt.  Die Spiegel-Affäre manifestierte den Ruf des Nachrichtenmagazins und trug prägend und nachhaltig zur politischen Auseinandersetzung  in Deutschland bei.   Breite Solidarität und Unterstützung erfuhr das Blatt auch von der jungen Generation.

Die Öffentlichkeit wusste über Strauß Aktivitäten Bescheid und begehrte gegen die Inhaftierung der Journalisten auf.  Wäre es nach Adenauer und Strauß gegangen, hätten die Journalisten ihre notwendige Berichterstattung nicht mehr fortsetzen können. Auch Helmut Schmidt – damals noch Bürgermeister von Hamburg – folgte trotz massiver Bedenken dem Ersuchen von Amtshilfe bei der Festnahme.

Die Parallele: 2015 wurde gegen den Chefredakteur Marcus Beckedahl von netzpolitik.org wegen Landesverrats ermittelt. Beckedahl hatte – wie unter Journalisten üblich – vertrauliche Papiere des Verfassungsschutzes veröffentlicht. Auch hier sorgte die Solidarität in der Gesellschaft dafür, dass Hans-Georg Maßen letztendlich versetzt wurde.

Der Konflikt um die Platzierung wichtiger gesellschaftlicher Themen ist also immer wieder Bestandteil von demokratischen Gesellschaften.

Die politische Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

So wie der Spiegel entstand auch der deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk in den 1950er Jahren. Nach dem Vorbild der BBC wurde ein gebührenfinanziertes –Modell eingeführt. Zunächst sorgte das föderale System der ARD für ein breites Spektrum an Inhalten. Dem entgegen wurde das ZDF als zentralistisches System gestellt. Im Unterschied zu anderen Ländern übt der deutsche Rundfunkrat jedoch durch seine politische Besetzung massiven Einfluss auf die Inhalte und Strukturen der öffentlich-rechtlichen Sender aus. Dies sorgt im Unterschied zu anderen Ländern dafür, dass es besonders viel Berichterstattung  über etablierte Parteien, Personen und die politische Agenda der aktuellen Regierung gibt. Vergleicht man die Befragungstechniken deutscher Journalisten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit denen der BBC oder auf der anderen Seite des Atlantiks, so stellt man schnell fest, dass in Deutschland viel zu wenig Kritik am Handeln politischer Akteure geübt wird. Die eigentlich selbstverständliche und kritische (Inlands-)Berichterstattung wird den als links abgestempelten investigativen Magazinen wie Monitor oder dem Kulturbereich überlassen. Ohnehin fallen kritische und progressive Ansätze immer öfter politischer Diffamierung  anheim.

Um die politische Einflussnahme zu sehen, kann man sich die Causa Nicolaus Brender anschauen. Der Vertrag des ehemaligen ZDF Intendanten wurde im Jahr 2010 aufgrund politischer Einflussnahme nicht verlängert. Das Verfahren schlug hohe Wellen bis hin zum Bundesverfassungsgericht und sorgte für eine Revision des Rundfunkstaatsvertrags.

Das enge Band zwischen Politik und Medien zeigt sich auch durch den Wechsel von Steffen Seibert ins Bundespresseamt oder den Wechsel des ehemaligen Regierungssprechers und mittlerweile BR-Intendanten Ulrich Wilhelm.

So reformbedürftig der öffentlich rechtliche Rundfunk ist, so sehr man vieles im Programm nicht mit einem öffentlichen Interesse Begründen kann, mag man sich eine Realität ohne den vergleichsweise ausgewogenen Journalismus dennoch nicht vorstellen. Gerade die investigativen Formate wie „Monitor“ und „Kontraste“ leisten neben den Regionalprogrammen einen wichtigen Beitrag, da sie näher an den Problemen der Bürger und weiter weg von der Hauptstadtpolitik sind.

Das Problem besteht intern auf mindestens drei Ebenen:

1.     Die durchaus vorhandenen Puzzleteile aus anderen Redaktionen und Formaten finden

– zu wenig
– zu versteckt
– zu kurz
– zu unkritisch

in den Hauptnachrichten statt. Die politische Einflussnahme der altersmüden Parteien verhindert den notwendigen Strukturwandel innerhalb der Gremien

3.     Die Programmierung der Sendungen erfolgt zu stark quotenorientiert

Je länger dieser Umstand andauert, umso stärker fördert die aktuelle Medienlandschaft die gesellschaftliche Spaltung, denn umso mehr verzerrt sie das gesellschaftliche Bild.

Außerhalb des öffentlich-rechtlichen Mediensystems verschärft sich die wirtschaftliche Lage der Verlage. Die Qualität des Journalismus als „meritorisches Gut“ gerät immer mehr unter Druck. So wächst auch die Anfälligkeit der Medien für Propaganda und Fake-News.

Die Europawahl muss ein Neuanfang sein

Die Gesellschaft ist bei dieser und kommenden Wahlen an einem Scheideweg angekommen. Sie sollte sich aus eigenem Interesse für eine demokratische und vielfältigere Medienlandschaft einsetzen. Sie sollte den alten Parteien den Weg zur Tür zeigen und neue, sozial-liberale demokratische Akteure in die Parlamente wählen.

Die aktuellen Jugendbewegungen werden die Gesellschaft formen. Sie – insbesondere die älteren Wähler – sollten den jungen Menschen daher den Rücken stärken und ihnen nicht die Zukunft verbauen.

Hinterfragen Sie das eigene Wahlverhalten. Erweitern Sie ihr mediales Spektrum. Unterstützen sie alternative Medienschaffende wie

–       Jung&Naiv
–       Krautreporter
–       CORRECTIV
–       TAZ
und viele andere.
Fallen Sie jedoch nicht Verschwörungstheoretikern in die Arme.

Loriots mahnende Worte

Das Erstarken der Satiriker in diesen Tagen ist nicht verwunderlich, wenn die ausgetretenen Pfade der Informationsverbreitung durch so viele interessenbehaftete Akteure verstopft sind.

Der durch Satire bekannt gewordene Europapolitiker Martin Sonneborn bezeichnet seine künstlerische Arbeit in diesem Sinne als Notwehr. Auch hier lohnt ein Blick in die Mediengeschichte. Vico von Bülow, besser bekannt als Loriot, kritisierte im Gespräch mit Marianne Koch bereits 1979 die politische Einflussnahme auf den öffentlich rechtlichen Rundfunk in Deutschland.

Das gesamte Interview könnte besser nicht in die heutige Zeit passen.